Wie wird eine Stadt gestaltet, die für Menschen abschreckend ist?
Es braucht viele, möglichst breite Straßen für den motorisierten Verkehr, die zum Fahren mit einem PKW einladen und auf diese Weise zu einem hohen Lärmpegel innerhalb der Stadt führen. Die Stadt braucht riesige, monoton gestaltete Plätze. Häuser mit vielen Stockwerken und gleichförmig gestalteten Fassaden auf den unteren Ebenen.
Übergangszonen zwischen öffentlichem und privatem Raum sollten möglichst vermieden werden. Stattdessen ist viel Fläche zum Parken zu schaffen, einhergehend mit schmalen Fuß- und Radwegen, sowie wenigen Grünflächen und keinerlei, schattenspendenden Bäumen.
Abschrecken geht einfach!
Abschreckend ist jedoch zugleich, dass (leider) viele unserer Städte „menschenfeindlich“ gestaltet sind. Die Gründe sind vielfältig – oft politisch gewollt. Sie sind auf jeden Fall das Ergebnis einer Missachtung einer Menschen-zentrierten Konzeption, Gestaltung und Weiterentwicklung von Städten.
Design für ein attraktives Stadtleben: Wie wird eine Stadt gestaltet, die Menschen anzieht?
Eine Blaupause zum Gestalten von lebendigen und für Fußgänger sichere Städte bieten uns Ferienanlagen und Freizeitparks. Dort werden große Anstrengungen unternommen, um die unteren Fassaden von Gebäuden, Räume im Außenbereich und Plätze harmonisch, mit viel Liebe zum Detail und abwechslungsreich zu gestalten. Sind Häuser mit mehreren Stockwerken nötig, dann werden die Obergeschosse zurückgesetzt.
Warum tut man das? Um Geld zu verdienen, um Gewinne zu erzielen. Für Freizeitparks und Ferienanlagen ist eine hohe Aufenthaltsqualität im Freien der Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg.
Um eine möglichst hohe Aufenthaltsqualität zu bieten, gibt es in Freizeitparks und Ferienanlagen auch nur stark eingeschränkten, oft komplett verbotenen motorisierten Verkehr. Alles ist ausgerichtet auf den Menschen und auf die für Menschen beste Fortbewegungsform: Gehen.
Von einer PKW- zu einer Fußgänger-zentrierten Stadtentwicklung
Die Lösung zur Gestaltung attraktiver Städte kann nicht darin bestehen sie zu Freizeitparks umzugestalten. Wie so oft wird ein gutes Maß darin bestehen Städte nach „menschlichen Maßstäben“ zu gestalten. Gemeinsam mit den dort lebenden Menschen und unter Beachtung von deren Wünschen, Anforderungen und Erfordernissen – UX Design für attraktive Städte.
„Städte für Menschen gestalten“ – dieser Gedanke war über Jahrhunderte zielführend bei der Entwicklung von Städten, wurde jedoch in den letzten 60 Jahren immer mehr verdrängt. Eine lebendige, gesunde und sichere Stadt kann nur dann entstehen, wenn zuerst das „Stadtleben“ geplant und konzipiert wird, danach der Raum und zum Schluss die Gebäude. Genauso sind unsere schönsten Städte entstanden: Händler schlugen ihre Zelte und Stände an meistgenutzten Wegen auf. Zelte und Buden wurden mit der Zeit zu Gebäuden. Es entstanden Städte mit Plätzen, Wegen und Häusern.
Kleine Räume, dicht aneinander stehende Gebäude und viele Details sind prägend für derart entstandene Städte. Sie wuchsen über Jahrhunderte „organisch“ auf Basis von Aktivitäten, erkannten Bedürfnissen und wahrgenommenen Erfordernissen der dort lebenden Menschen.
Die Orientierung am motorisierten Verkehr und den Bedürfnissen dieser Verkehrsteilnehmer/-innen kam bei der Gestaltung von Städten erst in den 1960er Jahren auf; prägte dann aber viele Städte lange Jahre nachhaltig. Planung nach menschlichem Maßstab und menschlichen Bedürfnissen rückte in dieser Zeit in den Hintergrund. Es entstanden Städte, in denen man sich als Fußgänger nur noch ungern bewegt.
Der Wandel in der Zielorientierung kam mit dem wachsenden Umweltbewusstsein. Fußgänger-freundliche Städte sparen Ressourcen ein und schonen die Umwelt auf vielfältige Weise: Weniger Lärm, Reduzierung der Luftverschmutzung und Flächenversiegelung. Gerade die Einsparung von Flächen für Wege ist enorm, wenn eine Stadt zum Gehen einlädt. Fußwege fassen ein 20zig Mal größeres Verkehrsaufkommen (Anzahl sich bewegender Menschen) wie Autofahrspuren. Je mehr Menschen zu Fuß unterwegs sind, desto weniger versiegelte Fläche ist demnach nötig und desto mehr Raum für Bäume und Grünflächen tut sich auf.
Aus einer Fußgänger-freundlichen Stadt wird fast automatisch eine „grüne“ Stadt. Und zugleich eine lebendige Stadt.
Fußgänger-freundliche Städte sind lebendige Städte
Städte die für Fußgänger angelegt wurden, bieten viel Lebensqualität. Sie laden zum Gehen ein. Das ist gut, denn Menschen müssen (!) gehen. Der Preis es nicht zu tun ist hoch. Bewegungsmangel treibt die gesellschaftlichen und privaten Gesundheitskosten in die Höhe und verkürzt die Lebenszeit.
Wird der tägliche Gang zu Fuß zum integralen Bestandteil des Alltags, zur alltäglichen Gewohnheit, dann spart das Zeit und Geld, welches heutzutage von vielen Menschen in den Besuch und die Mitgliedschaft von Fitnessstudios gesteckt wird.
Städte die für Fußgänger angelegt sind, sind lebendige und soziale Städte. Fußgänger-freundliche Städte tragen dazu bei, dass man sich öfters und länger in der Stadt aufhält. Auf Plätzen finden Menschen zueinander, treffen sich, nehmen sich wahr und gestalten auf diese Weise ein attraktives Stadtleben. Leben findet verstärkt im Freien statt.
Der wohl eindeutige Beweis für diese Wirkungskette bietet die Stadt Venedig. Eine Stadt die ein derart wertvolles Stadtleben bietet, dass Besucher ein Eintrittsgeld zahlen würden. Hier kann man problemlos 15.000 Schritte pro Tag zurücklegen, ohne diese Wegstrecke als beschwerlich wahrzunehmen. Man bekommt zur Belohnung interessante Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen.
Wolkenkratzer und eintönige Fassaden – in Venedig Mangelware. Menschen bewegen sich in Venedig nicht nur zu Fuß, um notwendige Aufgaben zu erledigen. Die Stadt lädt zu freiwilligen und sozialen Aktivitäten im Stadtraum ein. Sie bietet dem Besucher viele Details auf Augenhöhe. Viele kleine Plätze mit attraktiven Sichtachsen, bequemen Sitzgelegenheiten, Pfeilern, „Stützen“ oder Stufen und abwechslungsreich gestaltete Randbereiche laden ein zum Verweilen. Cafés verstärken die Wirkung, sind aber nicht zwingend nötig, damit Menschen sich auf einem Platz längere Zeit aufhalten.
Nahezu alles wurde in dieser Stadt mit viel Liebe zum Detail gestaltet, über Jahre hinweg. Dabei wurde stets ein menschliches Maß als Gestaltungsgrundlage angesetzt. Menschen-zentrierte Gestaltung wie es sein sollte, ja muss.
Ganz wesentlich trug hierzu bei, dass sich die Übergänge zwischen schnellem, motorisiertem Verkehr und dem Fußgänger-Verkehr ausschließlich an den Stadtteilgrenzen befinden. Nur so konnten Auto-freie Zonen entstehen, die die zentrale Grundlage für eine Fußgänger-freundliche Stadtgestaltung sind.
Angebot schafft Nachfrage – Menschen zum Gehen (wieder) einladen!
Bietet eine Stadt viele Straßen und zahlreiche Parkflächen für den motorisierten Verkehr an, dann lädt sie die Menschen zum Fahren mit dem PKW ein – aber eben nicht zum Gehen. Menschen finden in solchen Städten immer wieder Gründe, um den PKW für ihre Erledigungen zu nehmen.
Eine Stadt bekommt genau das Verkehrsaufkommen, das sie sich selbst schafft!
Fokussiert sich eine Stadt dagegen auf eine Fußgänger-freundliche Gestaltung, bietet eine entsprechende Infrastruktur an, dann bekommt sie auch mehr Fußgänger. Kopenhagen konnte die Anzahl von Fußgängern deutlich steigern, wozu ganz wesentlich die Ausweitung autofreier Zonen und Flächen beigetragen haben.
Lädt eine Stadt zum Gehen ein, dann nehmen die meisten Menschen dieses Angebot gerne an und bewegen sich zunehmend zu Fuß – um alltägliche Dinge zu erledigen, aber auch freiwillig und mit dem Ziel andere Menschen zu sehen und zu treffen. Es entsteht eine äußerst lebendige, attraktive und auch sichere Stadt. Die Bewohner der Stadt sehen, begegnen sich mehr, finden zueinander. Die Gemeinschaft wird gestärkt und die wahrgenommene Sicherheit kann deutlich verbessert werden.
UX Design für Städte – 7 Tipps zum Gestalten von Fußgänger-freundlichen Städten
Um eine Stadt Menschen-zentriert zu gestalten, muss man die Menschen lieben und selbst gern zu Fuß unterwegs sein. Es ist nötig die Stadt aus der Perspektive von sich bewegenden Menschen wahrzunehmen, und zwar mit allen Sinnen. So werden Probleme und Optimierungspotentiale erkannt und Ideen zur Steigerung der Qualität des Stadtlebens entwickelt.
Die Methode der Beobachtung vor Ort ist besonders wertvoll und zwingend erforderlich. Man wird auf diese Weise schnell erkennen wie man eine Stadt Fußgänger-freundlich gestaltet.
Sieben Erfolgsfaktoren auf dem Weg hin zu einer Fußgänger-freundlichen Stadt:
- klare, weiträumige (Flächen-)Trennung von Fußgängern
und motorisiertem Verkehr - breite und viele Fußwege mit glattem Belag
- Fußwege ohne Hindernisse und ohne Wegeschäden
- überschaubare, einfache Kreuzungen
- Zebrastreifen auf Straßenniveau statt Unter-/Überführungen
für Fußgänger - zahlreiche abgesenkte Bordsteinkanten an zwingend notwendigen
Straßenquerungen - Schattenspendende Baumbepflanzung
Auf den Punkt gebracht: Vorfahrt für Fußgänger!
Fußgänger sollten möglichst keine Wartezeiten beim Gehen durch eine Stadt haben. Getreu dem Motto: Nicht die Straße unterbricht den Fußweg, der Fußweg unterbricht die Straße – oder wie es Jan Gehl noch deutlicher ausdrückte:
„Die ungehinderte Überquerung einer Straße sollte ein Menschenrecht sein und nicht etwas, das man per Knopfdruck beantragen muss (Jan Gehl, 2015).“
Sie wollen Ihre Stadt, Ihr Dorf Fußgänger-freundlicher gestalten?
Eine hervorragende Idee. Entsprechende Maßnahmen werden Ihnen und Ihren Mitbürgern/-innen sehr guttun.
Methodisch ist die Vorgehensweise von einer PKW- hin zu einer Fußgänger-freundlichen Stadt ähnlich dem Vorgehen beim nutzerzentrierten Gestalten und optimieren von Anwendungen.
Ein Design für menschenfreundliche Städte kann sich orientierten am Design für (mehr) User Experience.
Gerne bin ich für Sie da, gebe Ihnen Tipps und Anregungen.
Buchtipp zur Gestaltung von Städten nach menschlichen Maßstäben
Jan Gehl, Architekt und Städteplaner, hat das Buch „Städte für Menschen“ im Jahr 2015 geschrieben.
Eine spannende und informative Darstellung seiner Erfahrungen aus 40 Berufsjahren und zahlreichen Projekten zur Gestaltung menschenfreundlicher Städte. Das Buch besticht durch klare Worte, anregende Gedankengänge und äußerst anschauliche gute und schlechte Beispiele in Wort und Bild.